• Kostenlose Lieferung ab 50 €
  • Persönliche Produktberatung
  • Schneller Versand in 24h*
19
07
24

Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Malfertheiner im Experteninterview: Die Rolle des Darm-Mikrobioms in der Forschung und im Therapiekontext

Das Mikrobiom – auch als Darmflora bezeichnet – liegt zunehmend im Interesse der Forschung, um das Wohlbefinden und die Gesundheit zu verbessern. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Frage, inwiefern das Darm-Mikrobiom in verschiedene Erkrankungen des Gastro-Entero-Traktes involviert ist.

Bedeutung des Darm-Mikrobioms für die Magen-Darm-Gesundheit

BioProphyl: Herr Prof. Dr. Dr. Malfertheiner, Sie haben intensiv an verschiedenen gastroenterologischen Erkrankungen geforscht. Können Sie uns über die Bedeutung des Darm-Mikrobioms für die Gesundheit des Magen-Darm-Trakts und mögliche Auswirkungen auf gastrointestinale Erkrankungen berichten?


Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Malfertheiner: Das Magen-Darm-Mikrobiom spielt eine bedeutende Rolle für die Erhaltung der Gesundheit – entscheidend ist eine ausgewogene Zusammensetzung der Darmflora. Die Dysbiose, das heißt eine gestörte Darmflora, kann zu Erkrankungen und Beschwerden im Magen-Darm-Trakt führen. Eine ausgewogene Gemeinschaft des Darm-Mikrobioms ist nicht nur essentiell für die Darmgesundheit, sondern nimmt darüber hinaus einen wichtigen Einfluss auf die Gesundheit des gesamten Organismus.

Viele Untersuchungen haben einen großen Einfluss des Mikrobioms auf die Leber bzw. Lebererkrankungen und auf den Stoffwechsel bzw. Stoffwechselerkrankungen belegt. Funktionelle gastrointestinale Erkrankungen werden heute auf bidirektionale (in beide Richtungen ablaufende) Störungen der Darm-Hirn-Achse – auch bekannt als „Disorders of Gut Brain Axis“– zurückgeführt. Da das Mikrobiom in dieses Konzept involviert ist, erklärt sich auch die Bezeichnung „Microbiome Gut Brain Axis“.

Aktuell laufen große Forschungsinitiativen zur Interaktion von Verdauungstrakt und zentralem Nervensystem, psychischen Erkrankungen, sowie neurodegenerativen Erkrankungen, einschließlich Demenz.

Die Erkenntnisse im Grundlagenbereich werden zunehmend in den klinischen Bereich über Ansätze der probiotischen Medizin getragen. Der Bereich ist vielschichtig: Eine günstige Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms hat vielfältige Wechselwirkungen mit dem menschlichen Organismus und wird von Faktoren wie dem Lebensstil, der Ernährung, ausreichend Schlaf und regelmäßiger Bewegung geprägt.


Einfluss auf chronisch entzündliche Darmerkrankungen

BioProphyl: Inwiefern hat Ihre Forschung Erkenntnisse über die Rolle des Darm-Mikrobioms bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn beeinflusst?


Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Malfertheiner: Das Thema CED (chronisch entzündliche Darmerkrankungen) und Mikrobiom ist von großer Bedeutung, derzeit laufen viele Untersuchungen zu verschiedenen Fragen dieser Interaktion.

Bei CED liegen Veränderungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms vor, allerdings ist die therapeutische Modulation des Darm-Mikrobioms bislang noch ein Nebenschauplatz. Es gibt einzelne positive Studien mit bestimmten Probiotika. Am eindrucksvollsten sind Ergebnisse des fäkalen Mikrobiom-Transfers von gesunden Spendern (Stuhltransplantation) mit Heilerfolgen bei einer Gruppe von Patienten mit Colitis ulcerosa.

Aktuell liegt der Fokus in der Therapie der CED in der Immunmodulation. Künftig ist es auch durchaus vorstellbar, über das Mikrobiom in den Krankheitsprozess der CED einzugreifen. Immuntherapien sind derzeit Standard und Marktführer und zielen auf die Herabregulierung überschüssiger Immunreaktionen ab. Spezifische Ernährungsempfehlungen sind komplementär, aber nicht primär-therapeutisch wirkungsvoll. In diesem Zusammenhang spielt auch die Verabreichung von Spurenelementen und Vitaminen eine wichtige Rolle.


Herausforderungen bei der Mikrobiom-Analyse

BioProphyl: Können Sie uns über die Herausforderungen bei der Analyse und Beeinflussung des Darm-Mikrobioms im Kontext von Therapiestudien bei entzündlichen Darmerkrankungen und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen berichten?


Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Malfertheiner: Es liegen hochwertige Publikationen vor, die Veränderungen des Mikrobioms aufzeigen. Aktuell fehlen aber noch Interventionsstudien, die uns zeigen, wie wir vorgehen sollten, um das Darmmikrobiom bei Darm- und Bauchspeicheldrüsen-Krankheiten günstig zu beeinflussen.

Daher gibt es aktuell leider keine konkrete Empfehlung, obwohl ich einem solchen Konzept große Möglichkeiten einräume. Noch herrscht eine große, zu überwindende Diskrepanz zwischen der Wissenschaft und der Umsetzung in der klinischen Praxis. Die Hoffnung liegt auf großen Interventionsstudien, die zeigen, welche Kombination aus Probiotika und speziellen Ernährungsfaktoren einen Beitrag leisten. Erst, wenn in klinischen Untersuchungen gezeigt wird , dass Probiotika einen positiven Effekt erzielen, kann ihr Einsatz auch bei diesen Erkrankungen empfohlen werden.

Wir können heute an Stuhlproben Mikrobiom-Analysen durchführen, die auf präzisen, molekularen Technologien der Gensequenzierung des Darm-Mikrobioms basieren. Dies erlaubt, Ergebnisse personalisiert zu betrachten, erfordert jedoch die Einbeziehung von Kenntnissen wie der Einnahme von Medikamenten, des Lebensstils, der Ernährung und bestehender Erkrankungen. Es ist wichtig, die einzelnen Behandlungsmaßnahmen auf ihren Effekt in einem Follow-up zu prüfen.

Für die Zukunft ist es vorstellbar, eine Stuhlanalyse beim Einzelnen zu machen und abhängig von den spezifischen Befunden einen individualisierten Behandlungsplan zu erstellen, der sowohl im Hinblick auf das klinische Ergebnis als auch auf die Mikrobiom-Zusammensetzung im Verlauf Aufschluss gibt. Es ist wünschenswert zu lernen, was im individuellen Ansatz sinnvoll ist, das Mikrobiom so zu beeinflussen, um für die Gesundheit maximal förderlich zu sein –ähnlich wie es beim Sport geeignete Trainingsmuster und Ernährungsmuster gibt.


Helicobacter pylori und Darm-Mikrobiom

BioProphyl: Mit Blick auf die Forschung zu Helicobacter pylori-assoziierten Erkrankungen des Magens: Gibt es Hinweise darauf, dass das Darm-Mikrobiom mit diesen Erkrankungen in Verbindung steht?


Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Malfertheiner: Helicobacter pylori (H.pylori) besitzt die Exklusivität, den Angriff der Magensäure zu überstehen, den Magen für sich einzunehmen und die Dominanz über alle anderen Keime zu erlangen, die im sauren Magenmilieu nur kurz verbleiben können. Sobald H.pylori den Magen besiedelt, kommt es zu einer chronischen Magenschleimhautentzündung. Bei Progression zu einer chronisch atrophischen Gastritis kommt es zur Verminderung der Magensäure und dem Verlust der bakteriziden Wirkung. Erst dann können sich auch andere Mikrobiota im Magen etablieren.

Helicobacter pylori führt immer zu einer Magenschleimhautentzündung und kann zur Entstehung von Magengeschwüren und Magenkrebs führen.

In fortgeschrittenen Stadien der chronischen Magenschleimhautentzündung verändert sich das Mikrobiom im Magen und wirkt sich auch auf die mikrobielle Zusammensetzung in tieferen Abschnitten des Verdauungstraktes aus.


Diagnostik und Therapie der Refluxkrankheit

BioProphyl: Welche Fortschritte sehen Sie in der Diagnostik und Therapie von gastroösophagealer Refluxkrankheit und wie könnte das Darmmikrobiom hier eine Rolle spielen?


Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Malfertheiner: Die gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) ist eine Entzündung der Speiseröhre, die als Folge einer pathologisch gestörten Anti-Reflux-Barriere entsteht. Durch verstärkten Rückfluss der Magensäure in die Speiseröhre kommt es zu Beschwerden wie Sodbrennen und Verletzungen der Ösophagusschleimhaut (Erosionen).

Das Mikrobiom hat nach bisherigen Erkenntnissen bei GERD keine primäre Bedeutung, allerdings kommt es im Rahmen der therapeutischen Säurehemmung mit PPI zu einem veränderten Mikrobiom im Magen und einem entsprechenden Rückfluss dieser Mikrobiom-Gemeinschaft in die Speiseröhre. Eine mögliche Rolle des Mikrobioms in der Pathogenese von Erkrankungen der Speiseröhre gilt es noch zu erforschen. Neue Ansätze in der Therapie bei leichten bis mittelschweren Formen der GERD zielen anstelle der Säurehemmung auf die Stärkung der ösophagealen Schleimhautbarriere ab.


Medikamenteneffekte auf Darm-Mikrobiom

BioProphyl: Haben Sie während Ihrer Forschung Erkenntnisse darüber gewonnen, wie sich Medikamente wie Aspirin oder NSAIDs auf das Darmmikrobiom und die Barrierefunktion des Magen-Darm-Trakts auswirken könnten?


Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Malfertheiner: Der schädigende Effekt von Aspirin und NSAR auf die Magenschleimhaut wird bei einer Infektion mit H.pylori verstärkt. Medikamente mit Einfluss auf die Integrität der Schleimhautbarriere des Darms, wie im Falle von NSAR, verändern auch das Darm-Mikrobiom und sind somit als ungünstig zu betrachten.

Die Therapie der H.pylori Infektion ist in jedem Fall erforderlich. Klinische Studien sind gefragt, um zu erkennen, ob und bei welchen Patienten eine zusätzliche probiotische Therapie anzuraten ist.


Zukunftstechnologien für Mikrobiom-Therapien

BioProphyl: Welche sind Ihrer Meinung nach die vielversprechendsten Ansätze oder Technologien, um das Darmmikrobiom in zukünftigen therapeutischen oder diagnostischen Strategien für gastrointestinale Erkrankungen zu nutzen?


Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Malfertheiner: Zunächst geht es um den Einsatz diagnostischer Verfahren, um dem heutigen Anspruch der Präzisionsmedizin gerecht zu werden. Jedes Segment des Verdauungstrakts stellt eine spezialisierte Nische mit adaptierten Mikrobiom-Gemeinschaften dar. Wir haben bei gesunden und kranken Menschen entsprechende Befunde erheben können, indem wir im Rahmen von endoskopischen Untersuchungen Schleimhautproben aus unterschiedlichen Abschnitten des Verdauungstraktes entnommen und auf ihre mikrobielle Zusammensetzung untersucht haben.

Zur Erforschung des Beitrags des Mikrobioms bei Erkrankungen ist es wichtig, die betroffenen Abschnitte im Magen-Darm-Trakt auf die Besonderheiten des dort lokalisierten Mikrobioms zu untersuchen. In der klinischen Routine können wir auf Analysen des Mikrobioms im Stuhl zurückgreifen, müssen aber in Kenntnis darüber sein, dass uns dies derzeit einen begrenzten Einblick zur personalisierten Anwendung in Beratung und Therapie im Hinblick auf das Mikrobiom erlaubt. Viele Faktoren mit Einfluss auf das Darm-Mikrobiom müssen in der Bewertung des Mikrobioms im Stuhl berücksichtigt werden. Mikrobiom-Analysen im Stuhl und Geweben werden jedenfalls Teil unserer Behandlungsstrategien in Zukunft sein.

Beispielsweise wird das Mikrobiom im Rahmen von Diäten oder auch einer glutenfreien Diät verändert. Massnahmen wie eine zusätzliche Modulation des Mikrobioms müssen individuell evaluiert werden.

Stuhl-Transfer oder in Kapseln verpacktes Mikrobiom von gesunden „Mikrobiom-Spendern" werden über derzeit bestehende auch neue Behandlungs-Indikationen finden. Probiotika verfügen bereits über klare Indikationsbereiche und ihre weitere Entwicklung wird neue Behandlungsoptionen eröffnen.

Fazit: Die Erkenntnis, dass das Mikrobiom in seiner individuellen Zusammensetzung von einem gesunden Lebensstil und einer gesunden Ernährung geprägt ist und eine entscheidende Rolle spielt, ist ein neues Konzept, das in den letzten 15 Jahren zunehmend gesichert und erweitert wurde. Ohne Berücksichtigung des Mikrobioms sind innovative, individuelle Therapien in Zukunft aus meiner Sicht nicht mehr vorstellbar.